„The Fabelmans“: Das Geheimnis aller Spielberg-Filme in einem einzigen Werk - WELT (2024)

Anzeige

Das Wort „Spieler“ bedeutet Schauspieler im Jiddischen, und „Spiel“ kann eine Rede oder ein Theaterstück sein. Namen sind wichtig in Steven Spielbergs neuem Film, der von seiner eigenen Familie handelt. Die heißt hier Fabelman und leitet sich von dem deutschen Wort „Fabel“ ab, einer Erzählform, die realistische und erfundene Elemente vermischt. Man kann „Die Fabelmans“ als Schlüssel zu Spielbergs Werk lesen.

Anzeige

Der junge Steven in „Fabelmans“ heißt Sammy, der Vater Burt (in Wirklichkeit Arnold), die Mutter Mitzi (realiter Leah). Die Fabelmans sind eine typische amerikanische Mittelklassefamilie, angesiedelt in diesen Vororten mit den großen Vorgärten, wo der Zeitungsjunge sich anstrengen muss, die gerollte Zeitung bis vor die Haustür zu schleudern. Der Vater ist Computeringenieur, die Mutter wäre gern Pianistin geworden, kümmert sich nun aber um die drei Töchter und den Sohn.

Mit Filmen haben Arnold und Mitzi Spielberg wenig am Hut, sie sind orthodoxe Juden und versuchen alles, um ihre Kinder vom Kinobesuch abzuhalten. Disney im Fernsehen, ja, das geht. Dass sie ihren fünfjährigen Sohn am 10. Januar 1952 (das Datum stimmt!) zu dessen erstem Kinobesuch mitnehmen, hat mit dem Film zu tun: Cecil B. DeMilles „Die größte Schau der Welt“ ist spektakulär und moralisch unbedenklich.

„The Fabelmans“: Das Geheimnis aller Spielberg-Filme in einem einzigen Werk - WELT (1)

Vielleicht hätte es den unbedingten Drang des Steven Spielberg zum Kino nie gegeben, wäre er schon vorher an die große Leinwand gewöhnt worden. Aber an diesem 10. Januar traf ihn das Riesenspektakel unvorbereitet: die Zirkusmanege, wagemutige Trapezkünstler, die Elefanten – und ein Unglück, bei dem zwei Züge zusammenprallen!

Nun stand bei Steven zu Hause (und bei Sammy im Film) eine Spielzeugeisenbahn. Und der Vater besaß eine Acht-Millimeter-Kamera für Familienfilmchen, und die Mutter erzählte gern die Geschichte, Baby Steve habe sofort nach der Linse gegrapscht, sobald sie erstmals auf ihn gerichtet worden sei. Der Sohn hat so lange an Vaters Wackelaufnahmen herumkritisiert, bis der ihm den Apparat mit den Worten in die Hand drückte: „Du bist nun der Familienfotograf!“

Lesen Sie auch

„The Fabelmans“: Das Geheimnis aller Spielberg-Filme in einem einzigen Werk - WELT (2)

Berlinale live

Dokumentarfilm „Sur l‘Adamant“ gewinnt den Goldenen Bären

Auf diese Anekdote verzichtet der Film, schildert aber tatsachengetreu, wie Sammy nun beginnt, das Eisenbahnunglück aus dem DeMille-Film auf dem Dachboden nachzuinszenieren. Sein erster Film, den er mit elf dreht, heißt „The Last Train Wreck“. Es wird einen Zirkuszug in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ geben, ein Zugunglück in „Super 8“, ein angebliches Zugunglück in „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, und in „E.T.“ erwacht ein Spielzeugzug plötzlich zum Leben.

Vermächtnis des Vaters

Anzeige

Die Spielbergs ziehen in Stevens Jugend zweimal um, von New Jersey nach Arizona und nach Kalifornien, immer den Jobs des Vaters nach. Arnold Spielberg ist selten präsent, und wenn man eine Konstante in Spielberg-Filmen sucht, ist es der abwesende Vater. Der Vater der kleinen Drew Barrymore in „E.T.“ – nicht vorhanden. Richard Dreyfuss in der „Unheimlichen Begegnung“ – lässt sich von der Ufo-Hysterie anstecken und verlässt seine Familie. Sean Connery im dritten „Indiana Jones“ – vom Sohn entfremdet. Und im vierten entdeckt Harrison Ford plötzlich, dass Shia LaBeouf sein Sohn ist.

Die Liste ließe sich fortsetzen, aber vielleicht ist sie mit den „Fabelmans“ an einem Ende angelangt. Immerhin verdankt Spielberg dem Vater eine seiner großen Leidenschaften. „Ich weiß noch, wie er mich eines Nachts aufweckte und gegen drei Uhr früh zu einem Hügel mitnahm“, erinnerte sich Spielberg an eine sternenklare Nacht in Arizona. „Er breitete eine Decke aus, und wir beobachteten einen fantastischen Sternschnuppenschwarm … Seitdem war ich mit dem Kopf immer in den Wolken … Ich war sternenbesessen und bin es immer noch.“

Im Film ist dieser Vater, dieser Burt Fabelman, eine sympathische Figur. Er ist es, der Sammy seinen ersten Schneidetisch kauft, damit er aus den vielen Schnipseln einen großen Familienfilm zusammenstellen kann, um Mitzi aufzuheitern, die nach dem Tod ihrer Mutter in Depressionen versunken ist.

„The Fabelmans“: Das Geheimnis aller Spielberg-Filme in einem einzigen Werk - WELT (3)

Anzeige

Anzeige

Dies ist einer der schönsten Einfälle von Tony Kushners Drehbuch, wie er hier die Entdeckung eines Familiengeheimnisses mit der Entdeckung eines grundlegenden Wirkmechanismus’ des Kinos verknüpft. Sammy beginnt also, Szenen aneinanderzukleben, verleiht ihnen dadurch einen Sinn. Nur wird es ein ganz anderer, als er vermutet hätte. Es ist nämlich so, dass er verdächtig viele Szenen findet, in denen sich Mutter Mitzi und Cousin Bennie absondern und intime Blicke austauschen. Die Technik des Filmschnitts bringt es an den Tag: Da ist eine Affäre im Gange.

Ein zutiefst persönliches Dilemma, eine komisch-tragische Situation. Keine typische Spielberg-Szene. Lange hat er Abenteuer für große Jungs gedreht, keine Familiendramen. Seine Erfahrungen holte er aus dem Kino, nicht aus dem wirklichen Leben. „Ich bin nie beraubt worden“, hat er von seiner Jugend erzählt, „war nie in irgendeine Schlägerei verwickelt. Einen Toten habe ich nie zu Gesicht bekommen.“

Die Filme, die er mit zwölf und mithilfe von Schulfreunden zu drehen begann, waren die Filme, die er gern gesehen hätte, die ihn seine Eltern aber nicht sehen ließen, angefangen von Western über Kriegsfilme bis zu der Invasion von Außerirdischen. Sie hießen „Battle Squad“ und „Escape to Nowhere“ und „Firelight“; Letzterer war 140 Minuten lang, kostete 500 Dollar, und der Vater mietete dafür einen Kinosaal in Scottsdale, wo der Film an einem einzigen Abend gezeigt wurde – und 600 Dollar einbrachte. Es war der Blockbusterbeginn eines 16-Jährigen und der Triumph eines Außenseiters: Der spindeldürre Spielberg interessierte sich weder für Sport noch für Autos, noch für Mädchen, nur für die Kamera.

Blut aus Kirschgelee

In den „Fabelmans“ sieht man die „Dreharbeiten“ zu einem dieser Kriegsfilme, irgendwas mit Rommel in Nordafrika, die Mutter kochte für diese Gelegenheiten Kirschgelee, das als Blut verspritzt wurde, und die Schulfreunde drängten sich um Filmrollen. Als Spielberg mit 17 aufs College ging, hatte er bereits ein gutes Dutzend dieser Eigenproduktionen im Kasten.

Doch diese Visitenkarten wollte in Hollywood niemand ansehen, sie waren auf Acht-Millimeter-Film, das benutzten nur Amateure. Und so nahm die Legende von Spielbergs Anfang ihren Lauf. Die geht so: Nach einer Touristentour durch die Universal-Studios habe er einen Drei-Tages-Pass bekommen, am vierten sei er dann einfach durchgewinkt worden, habe sich ein leer stehendes Büro auf dem Gelände gesucht, seinen Namen ins Telefonverzeichnis eintragen lassen und die nächsten Monate bei Drehs und in Schneideräumen herumgelungert.

„The Fabelmans“: Das Geheimnis aller Spielberg-Filme in einem einzigen Werk - WELT (4)

Wie viel davon stimmt, lässt „Die Fabelmans“ offen, tischt aber eine fabelhafte Episode auf. Irgendwie sei es dem jungen Spielberg gelungen, eine Audienz bei dem Western-Papst John Ford zu erlangen. Da thront er hinterm Schreibtisch, mitsamt der berühmten Augenklappe und sieht dem Original-Ford so ähnlich, dass man zunächst gar nicht merkt, wer ihn spielt: kein Geringerer als David Lynch. Auf die Bitte um einen Ratschlag zeigt Ford auf Fotos an der Wand: „Sehen Sie sich da den Horizont an! Man darf den Horizont immer nur tief unten im Bild filmen, oder ganz oben, nie in der Mitte. Und nun raus!“

Es ist eine wunderbare Szene, eine Stabübergabe von einer verwitterten Legende an eine aufsteigende – die aber vermutlich nie stattgefunden hat. Die Wahrheit ist trauriger. Eines von Spielbergs anderen großen Vorbildern war Alfred Hitchco*ck. 1975 – Spielbergs „Weißer Hai“ war gerade in den Kinos, und Hitch drehte seinen letzten Film „Familiengrab“ – schlich sich Spielberg an den Set und setzte sich im Dunkeln hinter Hitchco*ck. Der winkte seinem Assistenten und ließ dem stillen Besucher ausrichten: „Mr. Hitchco*ck fühlt sich durch Ihre Anwesenheit irritiert. Würden Sie bitte das Studio verlassen?“

Damals war Hitchco*ck 76. Heute ist Spielberg 76. Er hat lange gebraucht, bevor er diesen Familienfilm begann. Seine Eltern, seine Schwestern haben ihn immer gedrängt. Leah Spielberg starb vor sechs Jahren 97-jährig, Arnold Spielberg 2020 im Alter von 103 Jahren. Sechs Wochen nach seinem Tod begann Steven Spielberg, das Buch zu den „Fabelmans“ zu schreiben.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Drittanbieter freigeben

„The Fabelmans“: Das Geheimnis aller Spielberg-Filme in einem einzigen Werk - WELT (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Nathanael Baumbach

Last Updated:

Views: 6064

Rating: 4.4 / 5 (75 voted)

Reviews: 90% of readers found this page helpful

Author information

Name: Nathanael Baumbach

Birthday: 1998-12-02

Address: Apt. 829 751 Glover View, West Orlando, IN 22436

Phone: +901025288581

Job: Internal IT Coordinator

Hobby: Gunsmithing, Motor sports, Flying, Skiing, Hooping, Lego building, Ice skating

Introduction: My name is Nathanael Baumbach, I am a fantastic, nice, victorious, brave, healthy, cute, glorious person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.