Der Tempel der tausend Tode: "Spelunky 2" im Test (2024)

  • X.com
  • Facebook
  • E-Mail
  • Messenger
  • WhatsApp
  • E-Mail
  • Messenger
  • WhatsApp
Der Tempel der tausend Tode: "Spelunky 2" im Test (1)

Peitsche, Fedora, Abenteuer in verlassenen Tempeln voller Fallen: Wer den Indie-Plattformer "Spelunky" spielt, ist ein kleiner Indiana Jones, nur in niedlich. Die Spielfigur ist je nach Auswahl entweder ein Abziehbild des berühmtesten Archäologen der Welt, ein Abenteurer mit Schnauzer und Tropenhelm, ein indischer Held mit Turban oder eine andere Figur aus einer Palette an knuffigen Cartoon-Personen mit übergroßen Köpfen.

Gar nicht niedlich ist hingegen der Schwierigkeitsgrad, denn "Spelunky" verzeiht keine Fehler. In klassischer Jump’n’Run-Seitenansicht warten Monster, Fallen und jede Menge andere tödliche Gefahren nur darauf, der Expedition ein jähes Ende zu bereiten. Dann heißt es zurück zum Anfang. Jawohl, ganz zum Anfang. Beim nächsten Versuch allerdings zeigt sich das Labyrinth verändert: Es gibt andere Wege, Monster und Fallen, Schätze, hilfreiche Gegenstände und Geheimnisse sind neuverteilt. Kein Versuch gleicht dem anderen, die Höhlen zu Beginn und die folgenden, noch gemeineren Welten werden jedes Mal von Grund auf neu generiert.

Während bei Spielen wie "Super Mario" & Co. jedes Detail eines Levels von Game-Designern entwickelt wird, wird diese Arbeit hier von einem Algorithmus erledigt, der unendlichen Nachschub generiert. Geübte Spieler schaffen es in unter zwei Stunden bis zum Ende des Spiels; Anfängerinnen und Anfänger scheitern regelmäßig nach wenigen Minuten. Übung ist alles, Vorsicht schlägt Reflexe.

Neues Leben für eine uralte Idee

Mit diesem Konzept für seinen kostenlosen, quelloffenen Pixelplattformer "Spelunky" gelang dem amerikanischen Spieleentwickler Derek Yu 2008 ein Kunststück: Er verknüpfte die Ästhetik und Spielmechanik klassischer 2D-Plattformspiele mit den zentralen Konzepten einer obskuren, aber im Untergrund hochverehrten Rollenspiel-Nische. "Rogue-likes", also Spiele wie das 1980 erschienene "Rogue", nennt man diese grafisch minimalistischen, spielerisch aber hochkomplexen Game-Fossilien, die die Jahrzehnte als vitale Subkultur überlebt haben.

Der Tempel der tausend Tode: "Spelunky 2" im Test (2)

Fotostrecke

Videospiel "Spelunky 2"

Foto: 2008, 2009 Derek Yu and Mossmouth, LLC / Spelunky

Vom rundenbasierten Rollenspiel-Gameplay des Genre-Urahns "Rogue" bleibt bei den hippen Enkeln aber nichts erhalten. Was bleibt, sind die per Zufallslogik erzeugte Spielwelt, der "Permadeath", also das gnadenlose "Zurück zum Start" beim Tod, sowie großer Abwechslungsreichtum. Derek Yu hat diese DNA als Erster ins Plattformgenre übersetzt, andere Entwickler experimentieren mit anderen Spieltypen. Die "Rogue-like-likes", oder, weniger umständlich, "Rogue-lites" waren geboren.

Heute, zwölf Jahre später, haben sich Spiele dieser rasant wachsenden Nische vor allem im Indie-Bereich als kultisch verehrte Bestseller und Publiku*msmagneten erwiesen, von "The Binding of Isaac" über "FTL" bis hin zu "Hades", "Dead Cells" und "Slay the Spire". Die Fans schätzen deren fast endlose Wiederspielbarkeit und Abwechslungsreichtum; "Spelunky" hat’s vorgemacht.

Neue Perfektion

Im Jahr 2012 legte Yu "Spelunky" grafisch völlig überarbeitet und kommerziell erfolgreich als "Spelunky HD" neu auf. Von Publikum und Kritik wurde das um Multiplayer und einen für alle Spielerinnen und Spieler identischen "Daily Run" erweiterte Indiegame einhellig als fast perfektes Spiel gefeiert, ein Nimbus, der in der sonst schnelllebigen Games-Szene überraschend lang nachhallt. "Spelunky" war und ist ein Pop-Phänomen, einzeitloses, ikonisches Spiel, das fast stellvertretend für den Massen-Appeal und Aufstieg der einstmals obskuren Indie-Szene zur selbstbewussten Parallelwelt neben der Hochglanzbranche steht. Wie setzt man da noch eins drauf?

Mehr zum Thema

  • Unterschätzte Suchtgefahr für Jugendliche: Darum warnen Mediziner vor Computerspielen wie "Fortnite"Von Michael Fröhlingsdorf

  • Gratis-Games: Drei höllisch schwierige Spiele für ZwischendurchVon Konrad Lischka

  • "Counter-Strike", "League of Legends": Sollten Computerspieler öffentliche Mittel erhalten?Von Michael Fröhlingsdorf

"Spelunky 2", soeben für PS4 erschienen und in Kürze auch für PC erhältlich, hat darauf eine sympathisch bescheidene Antwort. Statt am Grundkonzept zu rütteln, dreht es an kleinen Schräubchen, fügt sinnvolle Elemente hinzu und fühlt sich alles in allem nicht wie eine Fortsetzung, sondern eher wie noch eine, noch weiter perfektionierte Neuauflage des Originals an. Statt den Westentaschen-Indiana steuert man zu Beginn dessen Tochter. Ansonsten stellt sich schnell ein Gefühl des Déjà-vu ein - im positiven Sinn. Was bei anderen Spielen als uninspiriert gilt, sorgt hier für Aufatmen. "Spelunky 2" zu spielen ist wie Heimkehren.

Rückkehr in die Höhlen

Trotzdem gibt es viel Neues: neue Gegner, neue Gegenstände, neue Fallen und natürlich neue Welten, mit ganz eigenen Herausforderungen und noch großteils unerforschten Geheimnissen. Es gibt Tiere, auf denen man reiten kann, Abkürzungen und neue Gebiete in einer Art "Hinterbühne", sich gabelnde Wege und eine neue Flüssigkeitssimulation, durch die sich Wasser und - viel gefährlicher - Lava korrekt simuliert ihren Weg nach unten bahnt, wenn Teile des Bodens durch Bomben zerstört werden.

Aber vor allem: Tausend Tode. Auch "Spelunky"-Veteraninnen und Veteranen dürfen sich nicht zu sicher sein, denn immer wieder sehen sie sich mit Kleinigkeiten konfrontiert, die ihre trügerische Selbstsicherheit ins Wanken bringen, neue Arten, wie Monster, Fallen und Spielewelt miteinander interagieren und jede Unvorsichtigkeit bestrafen. Doch jeder Lernfortschritt, jedes neu entdeckte Geheimnis wiegt den Frust auf. Jeder Tod ist die Gelegenheit, zu lernen und sich nächstes Mal in Achtsamkeit zu üben. Und wieder; und wieder. Dieses Spiel, das darf man ohne Übertreibung sagen, wird noch viele, viele Jahre gespielt werden.

Tatsächlich: Derek Yu hat noch einmal das perfekte Spiel gemacht. Dass es schon wieder "Spelunky" ist, stört dabei nicht - im Gegenteil.

"Spelunky 2" ist derzeit für die Playstion 4 verfügbar, eine PC-Version soll Ende September folgen. Der Preis beträgt 19,99 Euro.

Der Tempel der tausend Tode: "Spelunky 2" im Test (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Maia Crooks Jr

Last Updated:

Views: 6265

Rating: 4.2 / 5 (63 voted)

Reviews: 86% of readers found this page helpful

Author information

Name: Maia Crooks Jr

Birthday: 1997-09-21

Address: 93119 Joseph Street, Peggyfurt, NC 11582

Phone: +2983088926881

Job: Principal Design Liaison

Hobby: Web surfing, Skiing, role-playing games, Sketching, Polo, Sewing, Genealogy

Introduction: My name is Maia Crooks Jr, I am a homely, joyous, shiny, successful, hilarious, thoughtful, joyous person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.